Für Eltern

Sie überlegen sich, ob eine geschlossene Unterbringung (= freiheitsentziehende Maßnahme) für Ihr Kind sinnvoll ist?
Das Jugendamt hat Ihnen vorgeschlagen, Ihr und in einer geschlossenen Gruppe einer Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen?

Die folgenden Informationen sollen Ihnen Entscheidungshilfen geben und Ihnen einen Eindruck vermitteln, wie der Weg zu einer solchen Hilfe für Ihr Kind und Sie ist, wie Ihr Kind in einer solchen Einrichtung lebt und was Sie sich von einer solchen Hilfe erwarten können.

Die hier vertretenen Einrichtungen arbeiten mit unterschiedlichen Konzepten. Dennoch gibt es wichtige Gemeinsamkeiten, die Ihnen im Folgenden dargestellt werden. Informationen über die einzelnen Einrichtungen erhalten Sie über die angegebenen Kontaktadressen.

1. Geschlossene Unterbringung ist eine Hilfe zur Erziehung!

Geschlossene Unterbringung ist eine Form der „Hilfen zur Erziehung“ durch das Jugendamt, sie ist keine medizinische (psychiatrische) Behandlung und auch keine Strafmaßnahme der Justiz. Das Kinder- und Jugendhilfegesetzt regelt die Hilfen, die Eltern und Kindern/Jugendlichen durch das Jugendamt gegeben werden können. Die Grundsätze und Ziele des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gelten daher auch genauso für die besondere Hilfeform der Geschlossenen Unterbringung:

§ 1 (KJHG) Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe

(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere
1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu bei tragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen.
2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen,
3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

Die Geschlossene Unterbringung ist eine spezielle Form der „Heimerziehung“ (§ 34 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes) mit den entsprechenden Zielen:

§ 34 (KJHG) Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform

Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie
1. eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
2. die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
3. eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten. Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden.

2. Die Eltern entscheiden und bleiben verantwortlich!

Geschlossene Unterbringung stellt einen Eingriff in die Grundrechte des Kindes/Jugendlichen dar und ist nur auf Antrag der Sorgeberechtigten und nach Genehmigung eines Familiengerichts sowie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Verfahrensregeln (§ 70 a-n FAMG) möglich. Diese sind u.a.:

  • Ein Sachverständigengutachten, das die geschlossene Unterbringung befürwortet,
  • Eine Empfehlung des Jugendamtes,
  • Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind/den Jugendlichen,
  • Die richterliche Anhörung der Eltern, des Kindes/Jugendlichen und des Verfahrenspflegers,
  • Eine zeitliche Befristung der Genehmigung.

Das Familiengericht kann dann am Ende dieses Verfahrens eine geschlossene Unter-bringung genehmigen (Beschluss zur Genehmigung). Das heißt: das Gericht genehmigt die geschlossene Unterbringung, ordnet sie aber nicht an! Die Eltern/Sorgeberechtigen haben weiterhin die Entscheidungsbefugnis und können die geschlossene Unterbringung – sinnvollerweise in Rücksprache mit dem Jugendamt und der Einrichtung – auch wieder beenden.

Grundlage ist der § 1631 b des Bürgerlichen Gesetzbuches:

§ 1631 b (BGB): Mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung

Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen. Das Gericht hat die Genehmigung zurückzunehmen, wenn das Wohl des Kindes die Unterbringung nicht mehr erfordert.

3. Eine geschlossene Gruppe einer Jugendhilfeeinrichtung ist kein Gefängnis!

Das Weglaufen ist zwar durch bauliche Maßnahmen erschwert, kann aber nicht immer verhindert werden.

Alle Einrichtungen arbeiten mit Stufenplänen, die die Ausgeh- und Kontaktmöglichkeiten eines Kindes und Jugendlichen allmählich, bis hin zu Heimfahrten, erweitern.

 

4. Was ändert sich für Ihr Kind?

Im Vergleich zum bisherigen Leben muss Ihr Kind natürlich deutliche Einschränkungen hinnehmen und erlebt eine angemessene Bestimmung seines Lebens durch die Erwachsenen. Der Alltag ist klar strukturiert, sowohl durch einen geregelten Schulbesuch, einen festen Tagesablauf als auch über vorgegebene Regeln und Pflichten. Dies schafft Sicherheit und Beruhigung. Ihr Kind erhält Unterstützung, Zuwendung und vielfältigste therapeutische Angebote, seine erheblichen Schwierigkeiten und Probleme zu bearbeiten und sich weiter zu entwickeln.

 

5. Wann hilft eine geschlossene Unterbringung?

Eine geschlossene Unterbringung kann helfen, wenn ein Kind/Jugendlicher Halt und Orientierung verloren hat, altersgemäßen Anforderungen nicht mehr gerecht wird, seine Gesundheit und Entwicklungschancen stark gefährdet sind. Wenn ein Kind oder Jugendlicher „außer Rand und Band“ geraten ist, bedeutet das, dass es/er keinerlei Begrenzungen von außen mehr erfährt oder akzeptiert und es/er das Band zu den wichtigsten Bezugspersonen – den Eltern – zerrissen hat, also keine erzieherische Einflussnahme mehr möglich ist. Damit ist eine gesunde Entwicklung seiner Persönlichkeit erheblich gefährdet.

Wenn sich ein Kind/Jugendlicher jeglicher Einflussnahme und Unterstützung durch Erwachsene – seien es Eltern, Verwandte, Lehrer – oder den angebotenen Hilfen durch das Jugendamt entzieht, kann die geschlossene Betreuung die Voraussetzung sein, altersgemäße Beschränkung und nützliche Beziehungen wieder herzustellen. Somit kann das Kind/der Jugendliche wieder erreicht und mit ihm gemeinsam Auswege aus der schwierigen Lebenssituation entwickelt werden.

 

6. Wie können Sie als Eltern zum Erfolg beitragen?

Die Chance auf eine positive Veränderung hängt auch ganz entscheidend von Ihrer Veränderungsbereitschaft und Ihrem Engagement ab. Sie bleiben während der gesamten Hilfe wichtig und in der Erziehungsverantwortung für Ihr Kind. Sie können helfen, indem Sie die Regeln und Anforderungen einer Einrichtung gegenüber Ihrem Kind vertreten und eine enge Zusammenarbeit mit der Einrichtung ermöglichen. Ihre Bereitschaft ist wichtig, durch abgesprochene Besuche, Telefonate und Beteiligung an Entscheidungen präsent zu sein und das Kind/den Jugendlichen – gerade auch in Krisen – wohlwollend zu begleiten. Gleichzeitig leisten Sie einen wichtigen Beitrag, in dem Sie sich durch regelmäßige Gespräche Anregungen geben lassen, wie Sie das eigene Erziehungsverhalten überdenken und ggf. verändern können.

 

7. Was kommt danach?

Häufig ist die Zeit in einer geschlossenen Gruppe der Beginn eines längeren Hilfe- und Entwicklungsprozesses. Auch wenn eine geschlossene Unterbringung nicht mehr notwendig erscheint, brauchen die Kinder/Jugendlichen auch weiterhin eine intensive Begleitung und fürsorgliche Anleitung bei der Gestaltung ihres Lebens. Anschlusshilfen werden daher rechtzeitig mit allen Beteiligten besprochen und geplant.